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Das
deutsche Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend - oder kurz: das Bundesfamilienministerium - empfiehlt
auf dessen Website Existenzgründerinnen öffentlich,
sie sollten vielleicht eine Firma (u.a.) im Bereich der „Freizeit-Industrie”
eröffnen - weil es sich hierbei (wortwörtlich) um eine
„Zukunftsbranche des 21. Jahrhunderts” handeln
würde, mit einem „Umsatzpotenzial in Milliardenhöhe”.
Unter
der Oberfläche will also das Bundesfamilien(!)ministerium
tatsächlich und vollabsichtlich dazu beitragen, dass Menschen
- damit zwangsläufig auch: Familien - ihre Freizeit mit Konsum
verbringen, womöglich sogar mit Computerspielen; und nicht
etwa mit Spaziergängen im Wald, mit Fußballspielen
im Stadtpark oder mit heimischen Brettspiel-Abenden.
Eine
andere Empfehlung dieses Bundesministeriums lautet, sich alternativ
auf dem Gesundheitssektor selbstständig zu machen, und zwar
wörtlich: „Auch wenn die Zahl der Kinder und Jugendlichen
bis zum Jahr 2050 von derzeit rund 16,5 auf 10,4 Millionen sinken
wird, zeichnet sich dieser Markt durch immer neue Bedarfsfelder
aus. So stieg die Zahl der Heranwachsenden mit Übergewicht
zwischen 1985 und 2000 um die Hälfte, was eine stärkere
Nachfrage nach Ernährungs- und Fitnessberatung mit sich bringt”.
Um
das einmal deutlich hervorzuheben: das Bundesfamilienministerium
sagt also nicht(!) „...so stieg die Zahl der Heranwachsenden
mit Übergewicht zwischen 1985 und 2000 um die Hälfte.
Wir unternehmen jedoch alles mögliche, um das zu ändern,
weshalb es sich nicht anbietet, auf diesem Markt als Existenzgründerin
aktiv zu werden”, sondern... im genauen Gegenteil!
Auf der einen
Seite fördert also ausgerechnet das Bundesfamilienministerium
die Auffassung, dass Freizeitgestaltung mit dem Konsum dessen
zusammenhängt, was eine „Freizeit-Industrie”
zur Verfügung stellt, und fördert dadurch gleichzeitig
auch die Lethargie, also Antriebs- und Teilnahmslosigkeit und
Passivität von Kindern.
Die Folgeschäden daraus für diese Kinder wiederum werden
als lukrativer „Markt” mit „immer neuen
Bedarfsfeldern” bezeichnet - und zwar gleichfalls ausgerechnet
vom Bundesfamilienministerium.
Doch wie
passt dieses scheinbare Paradoxon mit diversen „Bildungsoffensiven”
der Regierung zusammen? Es passt dummerweise sogar wunderbar zusammen.
Der Knackpunkt unter der Oberfläche nämlich liegt darin,
dass es sich bei „dem Staat” um eine Volkswirtschaft
handelt! „Der Staat”, ist nichts anderes als ein sehr,
sehr großes Wirtschaftsunternehmen, das u.a. an Produktivität
(„Leistungsfähigkeit” der Bürger), Effizienz
(Haushalt) und Gewinn (Steuern, Abgaben, etc) ausgerichtet ist.
Um dieses
Wirtschaftsunternehmen namens „Staat” am Laufen zu
halten, werden leistungswillige und leistungsfähige Bürger
benötigt, die eine ganz bestimmte Form von Bildung besitzen:
Eine Bildung auf das reduziert, was zur Leistungsfähigkeit
beiträgt und gebraucht wird, um dieses System aufrecht zu
erhalten und die darin erforderlichen Rollen zu besetzen: Forscher,
Ärzte, Ingenieure, Handwerker, Beamte, Banker, Lehrer, Putzfrauen,
Müllmänner, etc, etc.
Dazu gehört übrigens tatsächlich auch ein gewisser
Bedarf an Arbeitslosen, die sich durch Weiterbildung und Umschulungsmaßnahmen
auf die Bereiche umverteilen lassen, wo ein Mangel an Arbeitskräften
herrscht.
Exact dasselbe
Prinzip liegt der Schulbildung zu Grunde: es geht in erster Linie
darum, aus den Kindern die zukünftigen „Leistungsträger”
zu machen, und sie mit dem dafür erforderlichen Grundwissen
auszustatten, das später durch Ausbildung bzw. Studium spezialisiert
wird.
Wobei es auch hier ebenso „wichtig” ist, dass eine
gewisse Zahl von Kindern „nicht ganz so gebildet”
ins Berufsleben geht, weil schließlich außer Akademikern
auch jede Menge einfacher Arbeiter benötigt werden, vom Müllmann
bis zur Putzfrau.
Nebenbei geht es um das pädagogische Ziel, die Kinder zu
„nützlichen(!) Mitgliedern der Gesellschaft”
zu machen, die sich in dieses ganze System möglichst widerstandslos
und dauerhaft einfügen (lassen).
Was
damit als so genannte „Bildungs- und Wissensgesellschaft”
propagiert und in Form von „Bildungsoffensiven” seitens
Regierung und Wirtschaft zusätzlich forciert wird, ist nichts
anderes als eine Optimierung des Systems - weshalb es nur um die
Art von „Bildung und Wissen” geht, die für dieses
System zweckdienlich ist; und allenfalls zweckdienlich für
den Einzelnen, um darin irgendwie zurecht zu kommen; eine Beschränkung
auf reine Sach- und Fachkompetenzen.
Und
das bedeutet im Umkehrschluss: es geht nicht um irgendeine andere
Art von Bildung und Wissen, wie z.B. literarische, dichterische,
philosophische oder sonstige (künstlerische) Bildung, weil
die (Volks-)Wirtschaft vorwiegend Ärzte, Ingenieure und Handwerker
benötigt und deutlich weniger Dichter und Denker und Bildhauer,
die deutlich weniger bis gar nichts zu Bruttoinlandsprodukt und
Exportüberschuss beitragen, und somit das System eher gefährden
als ihm nützen.
Auf
einen Punkt gebracht: es ist eine „Bildung” gefragt,
die sich ausschließlich auf die Notwendigkeiten des Systems
beschränkt, und dabei noch gleichzeitig so viel Naivität
übrig bleibt, um dessen Weltbild und Glaubenssätze nicht
allzu kritisch zu hinterfragen, geschweige denn: das System an
sich in Frage zu stellen.
„Das
System” heißt hier: das Wohl und Wehe der Menschen,
sogar die Zukunft ganz generell auf das rein Wirtschaftliche zu
reduzieren bzw. vornehmlich davon abhängig zu erklären
und zu machen, von dem, was sich finanzieren lässt, was „sich
lohnt”, was „sich rechnet”, was kalkuliert und
prognostiziert werden kann.
Und das beginnt nicht erst „auf höchster Ebene”,
wo in den Bundesministerien die Bereiche „Bildung und Forschung”
zusammengelegt wurden, sowie die Bereiche „Wirtschaft und
Technologie”, sowie „Arbeit und Soziales” als
seien genau das und nichts anderes jeweils die Bereiche, die zusammengehören
würden. Sondern es beginnt sehr viel weiter vorn: bei der
Denkweise, die dem allem zugrunde liegt.
Nämlich:
die Denkweise einer „Alten Kompetenz” des 17. Jahrhunderts,
im Falle von „Bildung und Wissen” ausgehend von Sir
Francis Bacon, der im Jahr 1607 nicht nur die Verfahrensweise
der Empirie erfand, sondern auch den noch heute, im 21. Jahrhundert
alle Nase lang zitierten Spruch „Wissen ist Macht”
prägte.
Geblendet
vom allseits propagierten praktischen Zweck und Nutzen dessen,
was man heute als „Bildung” und „Wissen”
bezeichnet, erkennt kaum noch jemand, welches Verständnis
und welche Auffassung damit eigentlich verbunden sind.
Beispielsweise: die Abwendung vom Glauben; womit keineswegs irgendein
religiöser Glaube gemeint ist, sondern alles, was generell
unter das „Nicht-Wissen” fällt, wie Intuition,
Vertrauen, Erfahrung, „gesunder Menschenverstand”
(u.v.m.).
Alles
das wird durch den Glaubenssatz „Wissen ist Macht”
als minderwertig, als potenziell und tendenziell falsch und als
grundsätzlich zweifelhaft abqualifiziert. Alles das hat heute
nicht die geringste Chance, gegen Zahlen, Daten, Statistiken,
Studien, Tortengrafiken und vermeintliche Fakten zu bestehen.
Wer sich
bei einer Entscheidung hochgradig unwohl fühlt, der muss
sich sagen lassen, dass sein ungutes Gefühl irrelevant ist,
weil irgendwelche „Fakten und Nachweise” dem gegenüber
völlig unzweifelhaft seien.
Selbst wer unbezweifelbare, höchstpersönliche Erfahrungen
gemacht hat, der muss sich sagen lassen, dass irgendeine Statistik
dagegen spricht, und er damit allenfalls noch als (ggf.: „bedauerlicher”)
Einzelfall glaubwürdig ist.
Selbst wer seinen Job verliert und unter sehr dummen Umständen
durch sämtliche Raster des Sozialstaates fällt und mit
seinen drei Kindern vor der Obdachlosigkeit steht, darf sich anhören,
dass das immer noch irgendwie „sozialverträglich”
ist. Nur beispielsweise.
Alles das
gehört mit dazu, wenn heute „Bildung” und „Wissen”
nahezu unablässig beschworen werden, und das mehr oder weniger
unterschwellig in Verbindung mit dem Glaubenssatz „Wissen
ist Macht”: Macht hat demnach eben ausschließlich
nur derjenige, der das „Wissen” über Zahlen,
Daten, Fakten, Studien, Statistiken und Tortengrafiken besitzt
- und mehr Macht hat demnach immer derjenige, der über mehr
„Wissen” verfügt: eine Behörde, eine Abteilung,
ein Computer, ein Experte.
Wer
sich dagegen auf „nichts weiter” als auf seine Intuition,
Vertrauen, auf seine Erfahrung und „gesunden Menschenverstand”
stützt, ist demnach ohne brauchbares Wissen und ohne Macht
(im wortwörtlichen Sinne: ohnmächtig) einer „wissenden
Elite” ausgeliefert (z.B. Bürokraten, Berater, Wissenschaftler,
Experten aller Art), die dem Otto Normalbürger unablässig
erklärt, wie wichtig „Bildung und Wissen” seien
- womit sich der Kreis auf annähernd geniale Weise schließt.


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